Bei unserem Kurzurlaub in Bayern zwischen Weihnachten und Silvester fiel mir beim Verlassen der Sebaldkirche in Nürnberg ein Plakat im Eingangsbereich auf. Es zeigte auf buntem Hintergrund den Satz: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5,21). Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dieser Satz die Jahreslosung für 2025 ist. 
Der Satz hatte mich sofort zum Nachdenken gebracht. Über die Strukturen der Kirche und die Frage, wo wir festhalten sollten und wo es Zeit ist, loszulassen und Neues auszuprobieren. Während meiner aktiven Zeit im Pfarrgemeinderat war das immer unser Prinzip: Solange wir Menschen haben, die sich engagieren, bewahren wir Liebgewonnenes. Doch wo Anpassungen nötig sind, sollten wir sie auch mutig angehen.
Ein Beispiel ist das Ewige Gebet: Vor 22 Jahren, als ich als Organist begann, startete es noch morgens um 10 Uhr. Heute beginnt es erst am Nachmittag. Oder die Fronleichnamsprozession in Nörtershausen: Früher gab es drei Altäre, gestaltet von den Ortschaften Udenhausen, Pfaffenheck und Nörtershausen. Doch mit dem Rückgang der Helfer mussten wir reduzieren. Anstatt alles aufzugeben, haben wir das bewahrt, was noch möglich war.
Erst an Silvester, beim Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Neuwied-Heddesdorf, wurde mir bewusst, dass der kleine Satz die Jahreslosung der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ist. Er stammt aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki – eine Gemeinde im heutigen Griechenland, die Paulus selbst gegründet hatte und auf die er sehr stolz war. In seinem Brief gibt er den Gläubigen mehrere konkrete Ermutigungen mit auf den Weg. Sein letzter Auftrag lautet: „Prüft alles und behaltet das Gute.“ Unsere Freundin Julia, Pfarrerin in Neuwied, hatte die Jahreslosung als Thema für ihre Predigt gewählt. Sie spannte den Bogen in die Gegenwart und erzählte von alltäglichen Situationen, wie dem Umzug ihrer Eltern, bei dem sie immer wieder fragen musste: „Kann das weg, oder wollen wir das noch behalten?“ Auch ich dachte während ihrer Worte an aktuelle Beispiele, die zum Motto passen.
Auch im Bundestag findet sich ein Bezug zur Jahreslosung: Dort wird derzeit über zwei Anträge diskutiert, die das Bundesverfassungsgericht beauftragen sollen zu prüfen, ob eine Partei, die unsere Demokratie bedroht, verboten werden kann. Es geht nicht um Schnellschüsse, sondern um eine sorgfältige Prüfung. „Prüft alles und behaltet das Gute.“ Wir können nicht zusehen, wie Menschenrechte ausgehöhlt, Menschen ausgegrenzt oder abgeschoben werden – unabhängig davon ob sie hier Schutz suchen oder integriert sind und in Berufen arbeiten, die für unsere Gesellschaft unverzichtbar sind: in der Pflege, in Krankenhäusern, in der Logistik, im Handwerk und in der Landwirtschaft.
Das zurückliegende Weihnachtsfest erinnert uns daran, worauf es ankommt: Jesus wurde in einem Stall geboren, und es waren einfache Hirten, die als Erste von seiner Geburt erfuhren – nicht die Schriftgelehrten im Tempel. Und Maria und Josef waren heilfroh, nach ihrer langen Reise überhaupt noch einen Platz zu finden.
Die Jahreslosung lädt uns ein, innezuhalten und zu prüfen, was wirklich wichtig ist – und was wir als Gesellschaft bewahren müssen.
Wir können Nächstenliebe mit Menschenrechten übersetzen und den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, mit Klimaschutz. Frieden stiften mit Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Möge jeder selbst ableiten, welche Partei da in seinen Augen die besten Ansätze hat.
Aber ich bin dankbar, dass die Bischofskonferenz im Frühjahr 2024 ein klares Bekenntnis gegen rechtsextreme und menschenverachtende Kräfte abgegeben hat. Wir als Christen dürfen nicht zulassen, dass solche Kräfte bei der kommenden Bundestagswahl gestärkt werden.
Am Ende des Gottesdienstes bekam jeder ein Lesezeichen mit der Jahreslosung:
„Prüft alles und behaltet das Gute“ – ein Leitsatz, der uns in dieser Zeit Orientierung geben kann.

